
Der Berg
Eine Matterhornbesteigung
"Treffpunkt 13 Uhr Zermatt am Kiosk".Vor dem Bahnhof buntes Treiben, Handkarren,
Pferdedroschken. Die Kutscher mustern die ankommenden Gäste, stufen sie ein...
Zermatt, Mekka der Bergsteiger ? Lange sehe ich keinen einzigen dieser
Gattung. Der erste Blick auf das Horn -vertraut von vielen Bildern und ungezählten
Beschreibungen. Ich wundere mich, dass sonst niemand hinaufschaut, auch die
Neuangekommenen nicht. Ein Kutscher knallt mit der Peitsche; er trägt einen
Cowboyhut- in Zermatt.
Da entdecke ich auf der anderen Straßenseite einige Grobgestiefelte mit allerlei
Alpinausrüstung- ich gehe hinüber; wir begrüßen uns: Christa, Udo,
Sepp, Lado und Hans.
Auf dem Weg zum Hörnli liegt Schnee-wir schreiben den 11. Juli, ein Sonntag.
Die Sonne treibt uns den Schweiß aus allen Poren. Aber dann sind wir an der
Hütte, hinter der das Horn emporwächst, nicht mehr so elegant wie von
Zermatt oder Findelen, eher massig, geduckt.
Wir packen unsere Rucksäcke um; ein Heeresbergführer aus Sonthofen und
sein Seilgefährte sortieren eine Unmenge "Schlosserei" auf dem Boden;
sie wollen in die Nordwand. Der kalte Hauch des gefährlichen Lebens weht uns
an.
Lange noch stehen wir vor der Hütte, schweigend, und starren auf den Berg
und den Grat, während die Sonne einer sternenklaren und kalten Nacht weicht.
Die Nacht ist kurz. Vor 3 Uhr Wecken. In der Stube hantiert der alte
Hüttenwirt. Eine nervöse Spannung liegt über den
Aufbruchsvorbereitungen. Tee und Brot wollen auch nicht schmecken.
"Schaut nach den Steigeisen", mahnt Udo. Es ist kurz vor 4 Uhr, als wir
vor die Hütte treten. Der Himmel ist nicht mehr so klar wie am
Abend. Im Osten hängen langgezogene Wolken, vom dämmernden Tag
in rote Ränder gefaßt.
Über einen Hügel geht es zum Einstieg. Wir verbinden uns mit
dem Seil: Udo, Christa und ich; Sepp, Hans und Lado bilden die zweite
Seilschaft. Udo und Sepp sind Bergführer aus Oberstdorf. Mit Udo bin
ich schon in den Oberstdorfer Bergen geklettert. Der Fels ist kalt und
feucht. Wir steigen langsam und unsicher; nach einiger Zeit finden
wir aber Takt und Rhytmus. Der Normalanstieg verläuft zum großen
Teil unter dem First des Hörnligrates. Wir queren einige
Schuttfelder, mühen uns eine Seillänge durch eine kaminartige
Rinne, kommen noch einmal durch einen Kamin und gehen dann gegen den Grat,
auf dem wir einige Zeit hochsteigen. Vom Grat wieder weg geht es steiler
zu Solvay, wo wir nun schon 4 Stunden unterwegs sind. Udo drängt
unvermittelt zur Eile. Nach 80 Minuten erreichen wir die "Schulter".
Über ein Firnfeld steigen wir gegen den Gipfelaufbau. Das Finale
beginnt: zum Auftakt ein nicht leichtes "Wandl". Da sehen wir auch schon
die Fixseile, die das Klettern an den steil zum "Dach" hinaufziehenden
Felsen zwar erleichtern, gleichwohl unsere ganze Aufmerksamkeit
erfordern. Vorbei an der bezeichneten Absturzstelle der unglücklichen
Erstbesteiger queren wir hinauf zum Schweizer Gipfel-behutsam, wissend,
dass das "Dach" unter uns 1000 Meter in die schreckliche Nordwand
abbricht.
Um 11 Uhr erreichen wir den Schweizer Gipfel; ein schwungvoller
Firngrat leitet ausgesetzt kurz hinüber zum Kreuz auf dem italienischen
Gipfel.
Es ist fast windstill und unnatürlich mild in nahezu 4500 Meter
Höhe. Ein rotes Sportflugzeug umkreist das Horn. Der Blick geht
hinüber zum Monte Rosa, dessen Firnfelder sich in dunklen Wolken
zu verbergen beginnen, und ich denke beklommen an den Abstieg.
In einer guten Zeit erreichen wir Solvay. Drei Seillängen unter
Solvay : Die große Wolke kriecht vom Furgg-Grat über die Ostwand
auf uns zu, hüllt uns ein; an der Spitze von Udos Eispickel höre
ich es knistern- und erwarte den ersten Blitz, der uns gleich darauf in
gleißendes Licht schlägt; fast im gleichen Augenblick scheint der
Berg einzustürzen. Im Nu ist der Fels von Hagel, Graupel und Eis
bedeckt.
Das Matterhorn aber war uns gnädig. Ein Gewitter, dem kein
Wettersturz folgte. Der Abstieg im nassen und anfangs vereisten Fels
will kein Ende nehmen; bald sind die Fingerspitzen aufgerieben;
stundenlang rieseln noch Graupel und Regen, hören wir
Gewitter, die sich aber nicht mehr unmittelbar über uns entladen.
Es dämmert schon, als wir uns am Einstieg aus dem Seil lösen.
Unter einer strahlenden Sonne ging ich am anderen Tag hinunter zum
Schwarzsee und schaute immer wieder zurück auf den unvergleichlichen
Berg, auf dessen Gipfel ich gestanden habe- ich ging hinunter und
war glücklich- erst jetzt und zwei Tage später auf dem
Allalinhorn über Sass Fee.
Helmuth Rechner
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